Es ist noch gar nicht so lange her, da war es in unserer westlichen Gesellschaft Standard, dass die Frau bis zur Eheschließung sexuell unberührt war. Noch heute ist die Jungfräulichkeit in einigen Kulturkreisen fest mit Werten der Reinheit und Ehre verbunden. Dabei spielt das Jungfernhäutchen, medizinisch als Hymen bezeichnet, eine besondere Rolle. Viele Mythen ranken sich um „das dünne Häutchen“: Was hat es damit auf sich? Reißt es wirklich beim ersten Geschlechtsverkehr?
Diese und noch weitere Fragen decken wir heute auf: Dich erwarten die Top 3 der hartnäckigsten Mythen rund um das Hymen. Zusätzlich haben wir spannende Infos für dich vorbereitet!
Woher kommt der Begriff “Hymen” eigentlich?
Wenn wir ehrlich sind, beginnt die Verwirrung bereits beim Namen: Denn der Begriff „Jungfernhäutchen“ lässt das Bild entstehen, dass es sich wirklich um eine Haut handelt, welche nur bei Jungfern bzw. Jungfrauen vorkommt.
Selbst das Fachwort „Hymen“ schürt Verunsicherung. Ursprünglich stammt es aus dem Altgriechischen und wurde nach dem Gott der Hochzeit (Hymenaios) benannt. Darüber hinaus bedeutet Hymen so viel wie Haut oder Häutchen.
Aber ist das Hymen auch wirklich ein Häutchen? Machen wir zunächst einen kleinen Ausflug in die weibliche Anatomie, um dieser Frage auf den Grund zu gehen!
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Weibliche Anatomie: Wie war das noch gleich?
Grundsätzlich unterteilt man die Geschlechtsorgane in äußere und innere. Die inneren Genitalien der Frau liegen oberhalb des Beckenbodens. Zu ihnen werden die Eierstöcke, die Eileiter, die Gebärmutter und die Vagina gezählt. Die Vagina kann dabei als Verbindung gesehen werden. Danach schließt sich das äußere Geschlecht an. Dieses besteht aus dem Venushügel, der Klitoris sowie den großen und kleinen Schamlippen. Zusammengefasst werden diese als Vulva.
Und was genau ist das Hymen?
Das Hymen bildet die Grenze zwischen den inneren und äußeren Geschlechtsorganen. Anders als häufig angenommen, liegt es nicht tief in der Vagina, sondern befindet sich relativ am Eingang der dieser. Man spricht von ca. 2-3cm hinter dem Vaginaleingang.
Darüber hinaus hat das Hymen keine nachweisliche Funktion. Verschiedene Ansätze werden zwar diskutiert, doch keine konnte sich bislang komplett durchsetzen. Daher wird es auch als Überbleibsel aus der Embryonalentwicklung bezeichnet.
So, jetzt aber genug der einleitenden Worte: Wir wollen nun die Fakten checken!
1. Das Jungfernhäutchen verschließt die Vagina wie eine dünne Folie: Falsch!
Ein Gedanke, der aus unerklärlichen Gründen tief in den Köpfen der Menschen verankert ist: Das Jungfernhäutchen ist eine dünne Haut, wie Plastikfolie, die die Vagina verschließt.
Dieser Mythos ist … falsch!
Beim Hymen handelt es sich um ringförmige Schleimhautfalten: Du kannst dir das wie einen elastisches Ring vorstellen! Oder wie diese Scrunchie-Zopfgummies.
Im Kindsalter sind diese Falten allerdings noch relativ zart. Meist ist das Hymen dann auch noch glatt und kreisförmig. Im Laufe der Pubertät und unter dem Einfluss der Östrogene, verdickt sich die Schleimhaut. Obwohl sie dann ziemlich robust wird, ist sie weiterhin sehr dehnbar und flexibel.
An dieser Stelle muss aber gesagt werden, dass es beim Aussehen des Hymens keinen Standard gibt. Genauso wie jeder Mann, jede Frau oder jede Vulva individuell ist, so weist auch jedes Hymen eine unterschiedliche Erscheinung auf: Es kann viele kleine Löcher haben und in der Mitte ein großes; manche Frauen haben halbmondförmige Öffnungen, andere weisen richtige Fransen auf und so weiter. Das ist übrigens auch der Grund, warum Schweden den Begriff „Jungfernhäutchen“ durch „vaginale Korona“ ersetzt hat. Das bedeutet so viel wie „Kranz, der die Vagina umrahmt“.
Es gibt sogar Frauen, die komplett ohne Hymen geboren werden! Es gibt einfach unzählige anatomische Variationen! Zusammengefasst ist es daher wichtig, im Hinterkopf zu behalten, dass das Hymen nicht komplett verschlossen ist. Das ist auch wichtig, denn andernfalls könnte Menstruationsblut nicht abfließen. Sollte das der Fall sein, so ist i.d.R. Handlungsbedarf erfordert. Dazu später mehr.
Dieses Wissen hilft uns nun, den zweiten Mythos aufzudecken und zu verstehen:
2. Das Jungfernhäutchen reißt beim ersten Geschlechtsverkehr: Falsch!
Über Generationen hinweg wird der Irrglaube weitergegeben, dass das Hymen beim ersten (vaginalen) Geschlechtsverkehr immer reißt: Quasi wie ein Siegel, das durch Penetration geöffnet wird. Das ist definitiv falsch!
Da das Jungfernhäutchen – wie gesagt – keine straffe Haut ist, kann es gar nicht reißen. Es kann zwar vorkommen, dass das Hymen beim ersten Geschlechtsverkehr gedehnt oder ein wenig „verletzt“ wird, aber das hängt ganz von der Elastizität des Hymens ab. Das muss zwangsläufig nicht einmal schmerzhaft sein.
Solltest du aber regelmäßig unter Schmerzen beim Sex leiden, dann schau dir gerne unseren Blogartikel Dyspareunie – wenn Sex wehtut an.
Dennoch soll das Jungfernhäutchen angeblich der Grund sein, warum die Frau beim ersten Mal blutet. Tatsächlich blutet schätzungsweise etwa nur die Hälfte der Frauen beim ersten Sex. Allerdings ist es schwer nachzuvollziehen, ob die Blutung wirklich durch das Hymen verursacht wird. Denn genauso gut können minimale Risse in der Vaginalschleimhaut verantwortlich sein.
Der Grund dafür liegt häufig an der sexuellen Unerfahrenheit der Frau bzw. der Geschlechtspartner. Meist spielt Angst eine zusätzliche Rolle. Diese kann zu Verkrampfungen und/oder einer mangelnden Feuchtigkeit führen – weitere Gründe für Blutungen. Doch selbst, wenn das der Fall ist, so bleiben in der Regel keine sichtbaren Verletzungen bzw. Narben zurück. Denn was die Heilung angeht, ist die Schleimhaut ein wahres Wunderwerk!
Du fragst dich nun sicherlich, woher der Glaube, dass Frauen bei ihrem ersten Mal bluten, rührt? Wahrscheinlich kommt der Mythos daher, dass früher sehr junge Frauen (bzw. Mädchen) mit wesentlich älteren Männern verheiratet wurden. Durch die anatomischen Größenunterschiede liegt es daher nahe, dass es beim Verkehr zu Verletzungen kam.
Durchgesetzt hat sich übrigens auch die Überzeugung, dass das Hymen beim Sport, Spagat oder durch einen Sturz reißen kann. Manche Frauen haben aus diesem Grund sogar Angst davor, einen Tampon zu verwenden. Da das Hymen, wie gesagt nicht „aufgerissen“ wird, sobald etwas eingeführt wird, kannst du hier ganz entspannt bleiben!
Kommen wir nun zu der Frage aller Fragen:
3. Kann durch das Hymen die Jungfräulichkeit getestet werden? Nein!
Last but not least: Auch hier ein ganz klares NEIN.
Noch immer wird die Frage gestellt, ob man die Jungfräulichkeit mit sogenannten „Keuschheitstests“ prüfen kann. Besonders in Staaten, in denen Frauen lediglich als „Objekt“ gelten und sexuelle Gewalt ertragen müssen, steht dieses Verfahren an der Tagesordnung. Teilweise bestehen Väter oder zukünftige Ehemänner auf ein solches „Zertifikat“. Daher haben die führenden Menschenrechtsorganisationen jegliche Formen einer solchen Prüfung als Verletzung des Rechts auf eine selbstbestimmte Sexualität eingestuft. Nicht nur, dass der Test häufig schmerzhaft und beschämend ist – er ist einfach nicht aussagekräftig!
Egal, wie dein Hymen aussieht: Es sagt rein gar nichts über deine sexuelle Aktivität aus!
Nicht einmal sexueller Missbrauch oder Vergewaltigung kann anhand des Hymens festgestellt werden. Diesem Thema haben sich bereits unzählige Studien gewidmet: Das Hymen ist kein Indikator dafür, ob es bereits zu penetrativem Sex gekommen ist.
Auch, dass der Mann beim Geschlechtsverkehr „spüren“ kann, ob die Frau noch Jungfrau ist, kann ebenfalls als Mythos betrachtet werden.
Nachdem wir nun die größten Mythen um das Hymen aufgedeckt haben, hier noch ein paar spannende Zusatzinformationen:
Fehlbildungen des Hymens
Obwohl es nur 0,1%1 der weiblichen Neugeborenen betrifft, ist es dennoch wichtig, darüber zu sprechen: Das Hymen imperforatus. Lass dich vom Namen keinesfalls abschrecken! Die Erklärung ist ganz einfach: Normalerweise entsteht die Öffnung (Perforation) des Hymens noch in der Entwicklungsphase des ungeborenen Kindes im Mutterleib. Beim Hymen imperforatus bleibt dieser Durchbruch hingegen aus. In den meisten Fällen bleibt dies zunächst unerkannt – bis zur Menstruation. Und da beginnt das Problem. Anfangs scheint es so, als würde keine Regelblutung eintreten.
In Wahrheit entsteht ein “Stau” des Menstruationsblutes. Denn: In diesem Fall ist das Hymen wirklich verschlossen. Das bedeutet, das Blut kann nicht abfließen. Zu Beginn sammelt sich das Blut in der Vagina, kann sich jedoch bis in die Gebärmutter aufstauen. Mit der Zeit entwickeln sich in Folge dessen immer stärker werdende Unterleibsbeschwerden. Diese sind meist mit Verdauungs- oder Blasenentleerungsstörungen verbunden.
Bei einer gynäkologischen Untersuchung kann ein Hymen imperforatus festgestellt werden. Das geschieht durch eine Tastuntersuchung und/oder mittels Ultraschalls. Wenn das der Fall sein sollte, wird das Hymen mit einem kleinen Schnitt geöffnet.
So, jetzt war die Rede von einem verschlossenen Hymen. Was aber, wenn ich mir sicher sein möchte, dass mein Hymen während des ersten Geschlechtsverkehrs (bzw. der Hochzeitsnacht) wirklich blutet?
Hymenrekonstruktion
Genau das soll eine Hymenrekonstruktion absichern. Es handelt sich dabei um einen operativen Eingriff. Das Hymen (also der Schleimhautsaum) wird so verändert, dass es definitiv zu einer Blutung beim nächsten vaginalen Geschlechtsverkehr kommt.
Teilweise konnte ein Trend, vor allem in den USA, dahingehend beobachtet werden. Größtenteils geht es allerdings um den Schutz der Frau vor Bedrohungen der Familie oder des Ehemannes. Doch ganz gleich, welche Motivation hinter einer Hymenrekonstruktion steht, so solltest du einige Fakten kennen:
Kostenfaktor: | 150 – 3000€, in Deutschland ᴓ 500€ |
Dauer: | Ca. 30 – 60 Minuten |
Durchführung: | Minimalinvasiver Eingriff, i.d.R. ambulant unter örtlicher Betäubung |
Wichtig zu wissen: | Eine OP ist kein 100-prozentiger Garant für eine Blutung Jede OP birgt mögliche Risiken |
Da das Hymen bei den Betroffenen meist vollkommen intakt ist, zählt die Durchführung als „kosmetische Genitaloperation ohne medizinischen Grund“. Aus ethischer Sicht wird der Eingriff als problematisch eingestuft. Daher sollte es kein Routine-Eingriff werden. Ist eine Rekonstruktion des Hymens allerdings die einzige Möglichkeit, die Gesundheit der jungen Frau zu schützen, so muss hier differenziert werden. Teilweise wird von Frauenrechtsverbänden sogar eine Übernahme der Kosten gefordert.
Bei all dem sind selbstverständlich die Aufklärung und die Betreuung von großer Bedeutung. Außerdem sollte auf jeden Fall auf die Seriosität der Klinik geachtet werden.
Eine Alternative zu einer OP besteht in Echtblutimplantaten. Diese können vor dem Geschlechtsverkehr in die Vagina eingeführt werden.
Tipps beim Umgang mit dem Thema Hymen
Zum Schluss möchten wir dir noch ein paar Tipps nahelegen, die dir helfen können, entspannter mit dem Thema “Jungfernhäutchen” umzugehen:
Unsicher? Lass dich beraten!
Leider wird dem Hymen in den (Fach-)büchern nicht die Aufmerksamkeit geschenkt, derer es Bedarf. Oftmals wird es nur kurz erwähnt. Wenn du dir also unsicher bist: Recherchiere oder lasse dich beraten.
Wir von FEMNA stehen dir bei jeglichen Fragen rund um die Frauengesundheit zur Seite. Du bist nicht alleine!
Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung!
Da sich die Mythen immer noch in den Köpfen der Menschheit befinden, ist es dringend notwendig, die Aufklärung weiterzugeben. Diese sollte so früh wie möglich erfolgen. Wenn du dich also informiert hast, trage dein Wissen gerne weiter!
Sprecht offen über das Thema
Du hast Angst vorm ersten Mal – vor den Erwartungen deines Partners oder deiner Partnerin? Es mag leicht gesagt sein, ist jedoch meistens gar nicht so einfach: Sprich deine Befürchtungen, Ängste und Wünsche offen aus. Du wirst sehen: Einmal überwunden und schon ist die Hemmschwelle um ein Vielfaches geschrumpft.
Und noch ein Wort zum Schluss
Die Mythen um das „Jungfernhäutchen“ sind immer noch weit verbreitet. Es kann daher nicht oft genug wiederholt werden: Aufklärung das absolute A & O! Mädchen und Frauen sollten verstehen, dass das Hymen keine starre Barriere ist. Ist dieser Gedanke erst einmal fest verankert, kann das den Druck und die Angst von den Mädchen nehmen.
Trotzdem erkennen wir an, was für eine immense gesellschaftliche Bedeutung dem „Jungfernhäutchen“ zugesprochen wird. Durch reine Fakten kann versucht werden, dem entgegen zu wirken.
Es ist wichtig anzumerken, dass die Entscheidung, Jungfrau zu bleiben, eine absolut private und individuelle Angelegenheit ist. Wird dies von der Kultur oder der Familie hingegen vorgegeben, so muss die Frau dennoch wissen, dass der klassische Blutfleck auf dem Laken aus rein biologischer Sicht ausbleiben kann. Es sollte also vorgesorgt werden. Lasse dich dabei auf jeden Fall begleiten.
Wie du sehen kannst, ist das Hymen nicht nur ein Häutchen bei Jungfern. Es ist (wenn vorhanden) Teil des weiblichen Körpers und bleibt es auch.
Unter Mitwirken von Victoria Braml, Medizinstudentin
Quellen
1 Hegazy, A. & Al-Rukban, M. (2012): Hymen: Facts and conceptions, in: theHealth (3), S.109–115.
Bömelburg, R. (2019): Vom Mythos ‚Jungfernhäutchen‘ zur vulvinalen Korona: Eine Broschüre in Leichter Sprache. https://doi.org/10.25673/31694
Brochmann, N. & Dahl, E. S. (2018): Viva la Vagina! Alles über das weibliche Geschlecht, Frankfurt (3. Aufl.): S. Fischer.
Stauber, M. & Weyerstahl, T. (2005): Duale Reihe: Gynäkologie und Geburtshilfe, Stuttgart (2. Aufl.): Thieme.