Gender Health Gap: Die Ungleichheiten im Gesundheitssystem

Hattest du jemals das Gefühl, als Frau andere Erfahrungen in Bezug auf deine Gesundheit zu machen als ein Mann? Dann wurdest du eventuell bereits mit der sogenannten Gender Health Gap konfrontiert.

Gender

Der Gender Health Gap ist kein neues Phänomen, doch die Bedeutung, sich damit auseinanderzusetzen, ist heutzutage relevanter denn je – besonders im Kontext der Frauengesundheit.

In diesem Artikel werden wir dir zunächst erklären, was es sich mit dem Gender Health Gap auf sich hat und dir ein paar Beispiele liefern, was der Health Gap konkret bedeutet. Gleichzeitig wirst du aber auch erfahren, ob vielleicht auch Männer vom Gender Health Gap betroffen sind – es bleibt also spannend!

Was bedeutet “Gender Health Gap?”

Leider gibt es im Deutschen noch immer keine passende Übersetzung dafür, weshalb sich der englische Begriff mittlerweile durchgesetzt hat. Auf den Punkt gebracht kann der Gender Health Gap wie folgt in einem Satz beschrieben werden: Der Gender Health Gap thematisiert die Ungleichheiten im Gesundheitssystem in Bezug auf das biologische Geschlecht. Doch was heißt das nun?

Der Gender Health Gap umfasst verschiedene Aspekte der Gesundheit. Zum einen zeigen sich geschlechtsbedingte Unterschiede in der Häufigkeit bestimmter Krankheiten. Frauen können beispielsweise einem höheren Risiko für bestimmte Krebsarten, psychische Erkrankungen oder Autoimmunerkrankungen ausgesetzt sein, während Männer eher von Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder bestimmten Krebsarten betroffen sind.

Des Weiteren besteht eine Kluft bei der Gesundheitsvorsorge und im individuellen Gesundheitsverhalten. Männer sind möglicherweise weniger geneigt, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen oder regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen durchzuführen.

Doch auch der Zugang zur Gesundheitsversorgung ist von Bedeutung. Frauen können mit Barrieren wie finanziellen Hürden, sozialen Normen oder kulturellen Faktoren konfrontiert sein, die den Zugang zu qualitativ hochwertiger Gesundheitsversorgung einschränken.

Wie kam es zum Gender Health Gap?

Wie kam es zur Gender Health Gap?

Jahrzehntelang konzentrierte sich die Gesundheitsforschung ausschließlich auf Männer. Dadurch fehlen sowohl ein Vergleich als auch die Betrachtung geschlechtsspezifischer Unterschiede. Wie die Autoren Buvinic & Levine (2016) schreiben, “fehlen Informationen über Aspekte des Lebens von Frauen”1. Doch wieso sind Frauen in der Medizin so unterrepräsentiert? Immerhin nehmen im Vergleich zu Männern immer mehr Frauen das Medizinstudium auf. Die Anzahl an Ärztinnen steigt also kontinuierlich an2.

Die Lücke an Daten beginnt bereits mit den ersten (Tier-)versuchen. Forscher:innen nutzen für Untersuchungen häufiger männliche Zellen und männliche Mäuse. Dieses Vorgehen setzt sich fort bis in die klinischen Studien, die größtenteils an männlichen Probanden durchgeführt werden. Frauen sind (wenn überhaupt) oft nur zu einem geringen Prozentsatz vertreten. Hinzu kommt, dass deren Ergebnisse gemeinsam mit denen der Männer ausgewertet bzw. gleichgesetzt werden. Manche Gendermediziner:innen behaupten sogar, dass Frauen in der Medizin als “kleine Männer” angesehen werden. Dieses Vorgehen hat verschiedene Gründe. Beispielsweise haben Frauen einen Zyklus mit hormonellen Schwankungen sowie viele weitere hormonelle Einflüsse im Vergleich zu Männern. Dadurch ist die Forschung an Männern einfacher und kostengünstiger, da sie weniger Zeit in Anspruch nimmt.

Prof. Dr. Vera Regitz-Zagrosek, Kardiologin und Gendermedizinerin an der Charité Berlin, sagt dazu:

“Ich sehe das tatsächlich als einen Skandal an, dass Forscher, die genau wissen, dass der weibliche Zyklus einen Einfluss auf ein Medikament oder eine Krankheit hat, diesen Zyklus ausklammern, indem sie Untersuchungen nur an männlichen Versuchstieren machen und es dann für beide Geschlechter zugelassen wird.3

Des Weiteren kommen historische Prägungen hinzu: Zum einen galt die Medizin früher als eine männerdominierte Disziplin. Immerhin durften Frauen erst ab ca. 1900 Medizin studieren. Trotz dieser neu geschaffenen Möglichkeit waren sie mit vielen Vorurteilen, Diskriminierung und Widerstand konfrontiert.

Sex vs. Gender – wo sind da die Unterschiede?

Auch hier ist uns die englische Sprache wieder überlegen, denn hier wird ganz eindeutig zwischen “Sex” und “Gender” unterschieden. Übersetzungen unterscheiden zwischen dem biologischen Geschlecht (Sex) und dem sozialen Geschlecht (Gender). Während das biologische Geschlecht durch Gene, Geschlechtschromosomen, Hormone, Geschlechtsorgane und -merkmale bestimmt wird, entsteht das soziale Geschlecht durch die zugeschriebene Geschlechterrolle bzw. -identität. Doch in der Medizin findet man üblicherweise ein binäres Geschlechtermodell (Mann/Frau) vor, bei dem Zusammenhänge zwischen dem biologischen und sozialen Geschlecht nicht beachtet werden. Dabei beeinflussen nicht nur biologische Faktoren unsere Gesundheit, so wie Körperzusammensetzung, Größe, Organe und Hormone die Gesundheit, sondern auch die Geschlechterrolle, das Einkommen, das familiäre Umfeld usw.

Beispiele der Gender Health Gap

Herzinfarkte

Der sogenannte “Vernichtungsschmerz”, der in den linken Arm ausstrahlt und bei Betroffenen Todesangst auslöst, ist das klassische Leitsymptom eines Herzinfarktes bei Männern. Frauen zeigen hingegen ganz andere, unspezifische Symptome. Die Deutsche Herzstiftung benennt Kurzatmigkeit, Atemnot, Rückenschmerzen, Erbrechen, Depressionen, Schmerzen im Oberbauch oder auch unerklärliche Müdigkeit. Obwohl die Symptome so unterschiedlich sind, gilt bei beiden Geschlechtern eines: Schnelles Handeln ist erforderlich. Doch der weibliche Herzinfarkt wird aufgrund der unklaren Symptome, die auch nicht immer in Lehrbüchern zu finden sind, später erkannt und behandelt.

Gender Health Gap Herzinfarkt

In einer neueren Studie aus dem Jahr 2018 von der Harvard Business School wurden Daten von rund 600.000 Herzinfarktpatient:innen ausgewertet – mit erschreckenden Ergebnissen. Wurden Frauen von einem Arzt behandelt, lag die Sterblichkeitsrate bei 14,6%. Wurden sie hingegen von Ärztinnen behandelt, starben nur 13,4%. Das bedeutet in absoluten Zahlen, dass von 100 Patientinnen eine weniger stirbt bei der Behandlung durch eine Ärztin4. Hier sieht man also wieder, dass die Gender Health Gap ein großes Problem in der Gesundheitsversorgung darstellt.

Medikamente

Mittlerweile wurde festgestellt, dass Medikamente eine unterschiedliche Wirkung bei Männern und Frauen haben. Gründe dafür sind zum einen die geringere Körperoberfläche von Frauen sowie ein anderer Stoffwechsel der Leberenzyme. Für eine optimale Wirkung ist eine alternative Dosierung erforderlich5. Um dies herauszufinden, bedarf es allerdings getrennter Untersuchungen mit Auswirkungen auf beide Geschlechter. Das ist seit 2004 Pflicht, allerdings wurden die meisten Medikamente davor zugelassen3. Auch diese fehlenden Daten verstärken den Gender Health Gap nachteilig.

Endometriose

Endometriose ist eine der häufigsten gynäkologischen Erkrankungen, die sich jedoch systemisch auswirken kann. Vom UK National Health Service wird sie als eine der 20 schmerzhaftesten chronischen Krankheiten eingestuft. Aufgrund der hohen Dunkelziffer an Betroffenen ist es schwer abzuschätzen, wie viele Frauen tatsächlich betroffen sind. Man geht jedoch von 10-15% aus. Zusätzlich dauert es durchschnittlich zehn Jahre, bis die Erkrankung diagnostiziert wird6. Doch obwohl so viele Frauen von dieser schweren chronischen Krankheit betroffen sind, steckt die Forschung noch in den Kinderschuhen. Kritiker:innen sagen dazu aus, dass wenn Endometriose Männer betreffen würde, diese schon viel besser erforscht wäre.

Gender Health Gap: Sind auch Männer betroffen?

Im ersten Moment scheint es so, als wäre nur die Frauengesundheit von fehlenden Daten betroffen. Doch auch Männer haben durch Gender Bias Nachteile. Denn bei “frauentypischen Erkrankungen” wie Osteoporose oder Depressionen werden sie plötzlich zu den Benachteiligten. Laut dem Deutschen Endokrinologischen Versorgungszentrum erkrankt jede dritte Frau, aber auch jeder fünfte Mann an Osteoporose. Dennoch gilt Osteoporose immer noch als Frauenleiden, weshalb die Diagnose bei Männern meist erst nach dem Auftreten von unerklärlichen Knochenbrüchen gestellt wird7.

Bei Depressionen werden die “klassischen Symptome” vor allem durch die Untersuchung von Frauen definiert. So sind die Leitsymptome z.B. das Gefühl der Wertlosigkeit, Schlafstörungen, gedrückte Stimmung, etc. Bei Männern zeigen sich die Depressionen dagegen häufig durch Wutattacken oder eine erhöhte Risikobereitschaft. Das führt dazu, dass Männer unterdiagnostiziert werden, während Frauen häufig überdiagnostiziert werden8.

Du siehst also, dass von einer geschlechtergerechten Medizin bzw. der Schließung des Gender Health Gap nicht nur die Frauen, sondern auch Männer profitieren würden.

Doch ganz besonders sind die Personen betroffen, die sich keinem Geschlecht zuordnen. Hier hat die Medizin eine Menge aufzuholen. Denn auch hier kommt es zu spezifischen Krankheitsphänomenen, da auch das soziale Geschlecht (Gender) die Gesundheit bzw. Krankheit beeinflusst.

Neue Wege – die Gendermedizin

Mittlerweile hat sich sowohl in der Forschung als auch in der Praxis einiges getan. Der Fachbereich “Gendermedizin” ist entstanden. Dieser befasst sich mit den Unterschieden zwischen Männern und Frauen. Obwohl dieser Zweig noch in den Kinderschuhen steckt, gibt es bereits an der Charité in Berlin, den Universitäten in Bielefeld und Zürich einen Lehrstuhl für Gendermedizin bzw. “geschlechtersensible Medizin”. Weiterhin organisieren Medizinstudent:innen an vielen Universitäten selbständig Seminare, um die neuen Erkenntnisse später in der Praxis umsetzen zu können, obwohl gendersensible Medizin nicht im Lehrplan steht.

Das alles sind noch Babyschritte, doch auch diese können irgendwann einmal einen Marathon laufen.

Ein Wort zum Schluss

Closing Gender Health Gap

Der Gender Health Gap ist ein wichtiges und bedeutsames Thema, das jedoch oft übersehen wird und deshalb Aufmerksamkeit erfordert. Die Gesellschaft und das Gesundheitssystem stehen vor der Herausforderung, geschlechterspezifische Unterschiede anzuerkennen und besser zu erforschen. Nur dadurch kann ein umfassendes Verständnis für die Bedürfnisse von Männern, Frauen und selbstverständlich auch non-binären Personen geschaffen werden.
Wir möchten dazu beitragen, den Gender Health Gap zu schließen, indem wir Frauen die benötigte Aufmerksamkeit und Aufklärung anbieten, um sich aktiv für ihre Gesundheit einzusetzen.

Quellen

1: Buvinic, M. & Levine, R. (2016). Closing the Gender Data Gap. Significance, 13(2), 34–37. https://doi.org/10.1111/j.1740-9713.2016.00899.x

2: Hibbeler, B. & Korzilius, H. (2008). Arztberuf: Die Medizin wird weiblich. Deutsches Ärzteblatt, 105(12), A 609-A 612.

3: Wildermuth, V. (2023). Gendermedizin – Frauen sind anders krank. Verfügbar unter: https://www.swr.de/swr2/wissen/gendermedizin-frauen-sind-anders-krank-102.html

4: Tsugawa, Y., Jena, A. B., Figueroa, J. F., Orav, E. J., Blumenthal, D. M. & Jha, A. K. (2017). Comparison of Hospital Mortality and Readmission Rates for Medicare Patients Treated by Male vs Female Physicians. JAMA Internal Medicine, 177(2), 206–213. https://doi.org/10.1001/jamainternmed.2016.7875

5: Regitz-Zagrosek, V. & Seeland, U. (2012). Sex and gender differences in clinical medicine. Handbook of Experimental Pharmacology, (214), 3–22. https://doi.org/10.1007/978-3-642-30726-3_1

6: AWMF (2020): 015/045 – Diagnostik und Therapie der Endometriose. Verfügbar unter https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/015-045

7: Deutsches Endokrinologisches Versorgungszentrum. (o.J.). Osteoporose beim Mann. Verfügbar unter: https://www.endokrinologen.de/osteoporose-mann.php

8: O.A. (2021). Verfügbar unter: https://www.die-ik.de/ihochzwei-02-2021/gender-health-gap

Thomas, A. & Kautzky-Willer, A. (2015). Gender Medizin. Verfügbar unter: https://www.gender-glossar.de/post/gender-medizin

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